14. November 2018
Sehr geehrter Herr Minister Albrecht,
mit Empörung haben wir aus den „Kieler Nachrichten“ vom 31.10.2018 von Ihrem Ansinnen erfahren, sogenannte „verhaltensauffällige“ Wölfe töten zu lassen. Wie Ihnen als Jurist sicher bewusst ist, verstößt die Tötung von Individuen dieser streng geschützten Tierart gegen nationale, europäische und internationale Gesetze. Die Tötung von Wölfen ist aus ökologischen und moralischen Gründen strikt abzulehnen. Auch das sollte Ihnen als „Grüner“ wohl verständlich sein. Umso weniger nachvollziehbar ist ihre Forderung nach einer Tötung von Wölfen.
Alle Ökosysteme auf der Erde sind nicht nur miteinander verbunden, sondern funktionieren nach den gleichen Grundprinzipien. Störung und Zerstörung natürlicher Lebensräume und -gemeinschaften bewirken zwangsläufig Ungleichgewichte und Fehlfunktionen in betroffenen Ökosystemen. So führte die fast ausschließlich ökonomische, nur auf steigende Bedürfnisse von immer mehr Menschen ausgerichtete Landnutzung, zur Ausrottung des Wolfes und anderer Spitzenprädatoren in Deutschland. Die noch heute spürbaren Folgen sind gravierende ökologische Verwerfungen mit ökonomisch nachteiligen Veränderungen in deutschen Wäldern und anderen Natur- und Kulturlandschaften. Genannt seien hier die durch fehlende Beutegreifer unkontrollierte Vermehrung und veränderte Verhaltensweisen von Wildschwein, Reh und Co., welche letztlich u.a. die Naturverjüngung und den Erfolg von Neuanpflanzungen in Wäldern be- und verhindern. So schreibt Peter Wohlleben, sind die Wildbestände in unseren Wäldern auf dem bis zu fünfzigfachen Niveau derer angekommen, die einst in hiesigen Urwäldern zu finden waren. Nicht umsonst existiert die russische Weisheit: „Wo der Wolf lebt, ist der Wald gesund.“ Und wo der Wald gesund ist, sind es u.a. auch Boden, Grundwasser, Luft und Klima. So belegen aktuelle wissenschaftliche Studien den Zusammenhang zwischen einem ökologisch intakten Wald und lokalem Klima; u.a. durch Feuchtigkeitsretention und verstärkte Wolkenbildung auch in Trockenperioden.
In Zeiten des bereits real existierenden und spürbaren globalen Klimawandels auch hier in Deutschland, mit prognostizierten und in 2018 erlebten extremen Dürren, ist der Klimaeinfluss intakter Wälder von unverzichtbarer ökologischer, ökonomischer und soziologischer Bedeutung. Intakte Wälder und andere Landschaften brauchen also intakte natürliche Lebensgemeinschaften und der Wolf ist seit hundertausenden von Jahren integraler Bestandteil dieser Lebensgemeinschaften und Motor der sogenannten trophischen Kaskaden in Ökosystemen.
So ist es nicht verwunderlich, dass renommierte Wissenschaftler aus aller Welt in einem Moratorium „Warnung an die Menschheit“ zum Erhalt der Erde als Grundlage unserer Existenz explizit den Erhalt und die Schaffung von Lebensräumen für Apex-Prädatoren wie Wölfen fordern (World Scientists’ Warning to Humanity: A Second Notice). Dies vor allem auch, um anthropogen gestörte ökologische Prozesse und Dynamiken wiederherzustellen.
Tötung von Wölfen verstößt gegen Gesetze
Die enorme Bedeutung der großen Beutegreifer für unsere natürlichen Lebensgrundlagen gilt unter Fachleuten unumstritten. Auch aus diesem Grund sind Wölfe strengstens geschützt und das muss so bleiben. Das Töten von einzelnen Wölfen und gesamten Wolfsfamilien im großen Stil verstößt gegen alle anerkannten Naturgesetze, beeinträchtigt folglich das ökologische Gleichgewicht ganzer Biome, bedroht damit unsere Lebensbasis und steht somit in krassem Widerspruch zur Pflicht von gewählten Politikern und Behörden. Diese sind, wie sie als Minister sicher wissen, dem Gemeinwohl verpflichtet, u.a. indem sie unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen und erhalten.
Entgegen all den genannten Tatsachen forcieren politisch und wirtschaftlich einflussreiche Kräfte aus rein ökonomischem und kurzsichtigem Eigeninteresse eine widerwärtige, vollkommen unqualifizierte und auf Halbwahrheiten sowie Lügen gebaute Hetzkampagne gegen den Wolf. Diese zielt letztlich auf die erneute Ausrottung des Wolfes ab. Keines der von diesen Leuten gegen den Wolf hervorgebrachten Argumente besitzt Hand und Fuß. Dazu gehört auch das gebetsmühlenartig wiederholte Argument von „verhaltensauffälligen“ Wölfen. Es gibt keine verhaltensauffälligen Wölfe. Führende Wolfsforscher widersprechen vehement einer solchen Kategorie von Wölfen. Es gibt wie beim Menschen auch bei Wölfen lediglich unterschiedliche Charaktere. So gibt es in Wolfs- wie Menschenfamilien neugierige und vorsichtige Charaktere. Dazu kommen junge unerfahrene und ältere erfahrenere Wölfe im Familienverband und als wandernde Einzeltiere. All diese unterschiedlichen Charaktere können sich gegenüber Menschen und Nutztieren unterschiedlich verhalten. Dazu kommt, dass es durch die immer stärkere Zersiedlung auch der letzten naturnahen Lebensräume zu Nahbegegnungen von Mensch und wandernden Jungwölfen führen kann. All das führte in keinem einzigen Fall in Deutschland oder anderswo zu aggressivem Verhalten oder gar Übergriffen gegenüber Menschen.
Jim Brandenburg, der wohl bekannteste Fotograf von Wölfen und zugleich Forscher, schreibt hierzu in seinem sehr lesenswerten Buch „Brother Wolf“ sehr klar: „Der Wolf ist das einzige große Raubtier, das den Menschen nicht attackiert.“ L. David Mech schreibt in seinem Standardwerk „The Wolf“: „Wölfe gehören zu den wildesten und zugleich scheuesten Tieren in den nördlichen Regionen … sie vermeiden den Menschen aus Angst.“ Wölfe als „verhaltensauffällig“ und gefährlich einzustufen ist somit unsachlich. Auf solch unsachlicher Grundlage den Abschuss von Wölfen zu fordern oder zu rechtfertigen ist unverantwortlich und kategorisch abzulehnen. Wirklich gefährlich für den Menschen ist der Mensch selbst. Zunehmende Urbanisierung, Luftverschmutzung, Straßenverkehr, falsche Ernährung, Waffengewalt usw. fordern tausende Tote jährlich. Durch Jäger sterben jährlich Dutzende Menschen in Deutschland. Durch den Wolf stirbt kein Mensch. Wer und was zum Schutz des Menschen eigentlich auf die „Abschussliste“ gehört, scheint somit klar.
Wölfe brauchen weder Regulierung noch Management durch den Menschen
Wölfe sind natürliche Raubtiere und wie alle Lebewesen auch Nahrungsopportunisten. Mit möglichst wenig Energieaufwand überleben ist ein Grundprinzip der Natur und auch uns Menschen eigen. So verwundert es nicht, dass Wölfe hin und wieder unzureichend geschützte Nutztiere, vor allem Schafe und Ziegen reißen. Allerdings machen Nutztiere etwa als 1% der Nahrung von Wölfen aus. Ausreichender Schutz der Nutztiere durch z.B. qualifiziert errichtete Schutzzäune oder Herdenschutzhunde können hier erfolgreich Abhilfe leisten. Unvergleichlich schlimmer als durch Wolfsrisse ist der jährliche Verlust durch den sinnlosen Tod von ca. 250 Mio. Nutztieren aufgrund katastrophaler Haltungsbedingungen und ökonomischer Gier. Schon vor diesem Hintergrund ist das Töten von Wölfen wegen relativ weniger und vermeidbarer Übergriffe auf Nutztiere unverhältnismäßig, ungerechtfertigt und kategorisch abzulehnen. Auch führte die Tötung vor allem älterer und erfahrener Wölfe – meist Elterntiere – zur Schwächung eines Rudels und folglich zu verändertem Beutespektrum und noch mehr Übergriffen auf Nutztiere. Peter Wohlleben schreibt hierzu in einem seiner Bücher: „Wolfshasser, die Übergriffe auf das Vieh verhindern möchten, sollten also lieber das Gewehr im Schrank stehen lassen.“ Zudem belegen Feldstudien aus den USA und Kroatien, dass offizielle genehmigte Abschüsse von Wölfen auch zu mehr illegalen Tötungen führen und damit den Wolf in seinem Bestand bedrohen können.
Wölfe brauchen weder Regulierung noch Management durch den Menschen. Die Populationsdynamik von Wölfen unterliegt den perfekt orchestrierten Gesetzen der Natur. Ein Eingriff des Menschen in diese Gesetze ist unnötig, schädlich und letztlich zum Scheitern verurteilt. Gescheiterte Versuche des Menschen die natürliche Fauna und Flora zu seinen Gunsten manipulieren zu wollen, gibt es weltweit zur Genüge. Natursteuerung ohne unerwünschte Nebenwirkungen ist ein Märchen wie das von Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Besser kontrollieren wir unser eigenes Handeln, das von zunehmend maßloser Gier und Verschwendung getrieben immer offensichtlicher zur nachhaltigen Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen führt. Dies und nicht der Wolf bedroht uns und unsere Zukunft auf diesem Planeten. Flächenversiegelung, Flussbegradigungen, Wald- und Lebensraumvernichtung, Artenschwund, Vermüllung der Ozeane, Vergiftung von Boden und Grundwasser, Glyphosat & Co. in unserer Nahrung, Luftverschmutzung, Strahlenbelastung durch Mobilfunk usw. sind die wahren Bedrohungen für unsere Existenz. Und es sind allesamt menschgemachte Bedrohungen. Hören wir auf mit dem Finger auf Wolf & Co. zu zeigen, sondern kontrollieren und ändern unser eigenes selbst- und naturzerstörerisches Tun. Und genau hier sind Sie als Politiker gefordert, die entsprechenden Weichen in Richtung Veränderung zu stellen, anstatt unverändert an den alten Märchen vom guten Menschen und dem bösen Wolf festzuhalten. Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur. Dieser alte ARD-Umweltspot hat an Aktualität nichts verloren. Lassen Sie uns also lieber deutlich mehr Wildnis und ökologische Korridore schaffen, um das menschgemachte rasante Artensterben zu stoppen, anstatt die Tötung von Wölfen zu fordern und seine erneute Ausrottung und damit den Verlust einer weiteren Art zu forcieren.
Auch moralisch besitzen wir kein Recht, über Leben, Tod und Fortbestand von Wolf, Luchs, Bär, Biber, Kormoran und anderen Arten in diesem Land und anderswo zu richten. Wir sind nicht Herr dieser Welt und sollten ihn auch nicht spielen. In Anbetracht des Zustands dieses Planeten qualifizieren wir uns höchstens als Krönung der Schröpfung. Lassen wir also die Natur nach ihre Gesetzen walten und folgen diesen ab sofort mit mehr Respekt und Demut als bisher. Dazu gehört auch, Lebensräume und Früchte dieser Welt – ob in Natur- oder Kulturlandschaften – mit anderen Arten wie dem Wolf zu teilen. Entschädigungszahlungen an Landwirte für gerissene Nutztiere und finanzielle Unterstützung für nicht letalen Herdenschutz sind ein bescheidener Ausgleich der Gesellschaft für unsere exklusive Nutzung fast aller Lebensräume. Hierzu bedarf es mehr Bereitschaft der Menschen zur Koexistenz.
Die Tötung von Wölfen ist ein blutiger Irrweg
So fordern wir Sie abschließend erneut mit aller Nachdrücklichkeit auf, von ihrem Plan abzusehen, Wölfe unter fadenscheinigen Begründungen töten lassen zu wollen. Falls es Ihr Ansinnen ist, mit dem gesetzlosen Töten von Wölfen bei Teilen der Bauern- und Jägerschaft zu punkten, wäre dies ein blutiger Irrweg. Denn nicht der Wolf trägt Schuld am dramatisch fortschreitenden Niedergang von Schäfern und Bauernschaft in Deutschland, sondern eine bauernfeindliche Agrarpolitik zugunsten milliardenschwerer Unternehmen und Investoren. Daher taugt auch der Bauernverband als Lobbyverband der mächtigen Chemie- und Maschinenindustrie nicht als Ratgeber für Bauernschaft sowie Umwelt- und Agrarpolitik. Gerade sie als Minister der Grünen sollten sich dessen bewusst sein und stattdessen dem Auftrag ihrer Wählerschaft folgen, nämliche Politik konsequent in Grün zu machen, der Farbe die für Leben und Vernunft steht. Sie wurden nicht für Politik in Schwarz gewählt, der Farbe, die für Dunkelheit, Tod und Trauer steht.
Der Wolf gehört nach Deutschland und das bereits 300.000 Jahre länger als unsere vor 45.000 Jahren aus Afrika eingewanderten Urahnen des Homo sapiens. Dem Wolf verdanken wir unser Überleben in dieser für uns damals fremden und rauen Wildnis des Nordens. Wolf und Mensch sind also Partner seit Urzeiten. Wir gehören zusammen und unsere Hunde als Abkömmlinge des Wolfes sind allgegenwärtige Zeugen dieser engen und damit ganz besonderen Lebensgemeinschaft. Zollen wir dem Wolf also den Respekt und Dank der ihm gebührt. Schützen wir ihn konsequent, anstatt ihm ständig weiter nach dem Tod zu trachten.
Dr. habil. Hans-Holger Liste
Brigitte Sommer, Vorsitzende Wolfsschutz-Deutschland e.V.
8 Gedanken zu „Offener Brief von Wolfsschutz-Deutschland an Umweltminister Philipp Albrecht (Schleswig-Holstein)“
Es ist eine Schande für alle Jäger und die, die sich dafür halten. Schon einmal war der Wolf durch sie in Deutschland ausgerottet. Den schießwütigen Jägern, die zur Lustbefriedigung das Erschießen von Lebewesen benötigen, muss ein für allemal Einhalt geboten werden zumal diese beim Erschießen nicht bei allem Lebendem halt machen. Sie sind die viel größere Gefahr.
Ich kann den ganzen Hype um die Grünen eh nicht nachvollziehen. Die sind genauso schlimm wie alle anderen Politiker auch. Allen voran Herr Habeck, der sich ebenso für Seehund Heuler nicht eingesetzt hat. Er kooperiert mit der Jägerschaft, die Abschußprämien erhalten und kein Interesse daran haben, Heuler zuerst von Tierärzten begutachten zu lassen. Das es anders geht zeigt Holland.
es ist tatsächlich so, sobald die Personen in der Politik angekommen sind, werden sie von Lobbyisten beeinflusst und es geht ihnen nur noch um ihren Machterhalt. Die Grünen wissen nicht mehr für was sie einmal angetreten sind. Es ist wirklich eine Schande. Jeder einigermaßen vernünftig denkende Mensch hat doch längst erkannt, dass wir so nicht weitermachen können, wir brauchen die Natur, wir sind allen Tieren gegenüber zu Respekt verpflichtet und wir sollten schützen, was da ist. Die Hetze gegen den Wolf ist verachtenswert. Herr Dr. Liste, Ihr Brief hat mich sehr berührt und ich hoffe, dass Umweltminister Albrecht Ihren Brief aufmerksam liest.
Wie viele Menschen töten sich gegenseitig und wieviele Menschen töten oder missbrauchen Kinder ? Was haben die Wölfe getan?
Haben sich die „Grünen“ lt. Habeck und Berbook vor und nach der Wahl nicht für mehr Tierschutz und Naturschutz ausgesprochen und daher so ein super Ergebnis eingefahren? Will Albrecht jetzt ausscheren und dafür sorgen, dass es mit den Wähler Zahlen wieder Bergab geht? Bei diesem Thema sind leider immer die unfassbaren Verstrickungen fest zu stellen. Jeder kennt Jeden und Jeder will Jedem einen Gefallen tun und dabei schreckt man auch nicht davor zurück, gegen bestehende Gesetze an zu gehen, Wölfe verantwortungslos und ungerechter Weise töten zu lassen nur, um die Gunst der Jägerschaft und der Bauernverbände zu bekommen oder zu erhalten. Ich nenne solch ein Tun unethisch, unmoralisch und infam. Jeder Politiker ist ein Volksvertreter und als solcher sollte er sich auch bemühen, die Belange und Wünsche der Mehrheit der Bevölkerung ernst zunehmen. Über 70% der Bürger sind in Deutschland FÜR den Wolf, ob sich der Herr Albrecht über diese Zahl im Klaren ist? Auch ist die Politik gefragt, sich für die Natur und deren Flora, so wie Fauna ein zu setzen, diese zu erhalten und deren Arten Vielfalt zu vermehren. In dem, was Herr Albrecht von sich gibt, kann man leider weder Naturschutz, noch Tierschutz sprechen. Erwähnenswert wäre noch, dass dieser Politiker am Volk vorbei regiert! Ob ihm das bewusst ist?
Der Wolf gehört zu unserer Natur. Welches Recht hat der Mensch diese zu töten. KEINES
Ein besonders grausamer Fall von Wilderei! So könnte es den Wölfen auch ergehen.
https://www.bild.de/news/ausland/news-ausland/alaska-wilderer-erschiessen-baeren-mutter-und-zwei-junge-im-winterschlaf-60919804.bild.html
Hallo ,
können wir denn nichts gegen den Wolfsabschuss tun ?
Wäre sofort dabei.