NRW: Täter Wolf? Chronik einer Vorverurteilung

Gegen 14 Uhr am Sonntag Nachmittag hätte die Polizei in Recklinghausen eine grausige Nachricht von einem Spaziergänger erhalten. Auf einer Wiese in Lembeck würden sich tote Schafe und Lämmer befinden. Doch wo war der Schäfer? Erwin B. soll nun bereits das zweite Mal von einem Riss betroffen gewesen sein. Die Umstände der Risse sind zwar mysteriös, aber schon steht bei vielen Weidetierhaltern und Lokalmedien der Schuldige fest: Natürlich der „böse Wolf.“ Doch stimmt das so? Hier unser Faktencheck mit einem Abschluss an stimmungsvollen Eindrücken aus den Wolfsgebieten Schermbeck und Dämmerwald.

 

Wie kann es sein, dass ein Wanderschäfer um 14 Uhr nachmittags nicht bei seinen Tieren ist? Wanderschäferinnen und Wanderschäfer wandern normalerweise tagsüber über verschiedene Flächen und lassen die Schafe dabei grasen. In vielen Ländern Osteuropas ist es noch bis heutzutage üblich, dass die Schäfer mit ihren Hüte- und Herdenschutzhunden auch nachts bei ihren Tieren bleiben. In Deutschland wird eine ganz andere Praxis gelebt. Hier werden Schafe und Lämmer oft über Nacht in mobile Netze gestellt. Wenn sie Glück haben, sind Herdenschutzhunde dabei und auf den Zäunen ist genug Spannung. Die Schäferinnen und Schäfer in Deutschland verbringen die Nächte normalerweise nicht bei ihren Tieren, sondern sie fahren nach Hause.

Schafe alleine ohne Netz und Hunde?

Auf den Aufmacherbildern des Lokalblattes „Schermbeck Online“ wirkt es so, als hätten die Schafe am Sonntag Nachmittag völlig ohne mobiles Netz auf einer nur mit Wilddraht umzäunten Fläche gestanden. Diese Vermutung bestätigt auch ein Artikel im Jägermagazin, das beschreibt, dass der über 70 Jahre alte Schäfer Erwin B. am frühen Montagmorgen den mobilen Zaun um seine Schafe abgebaut hätte und seinen Hütehunden eine Pause gegönnt hätte. Er wäre alleine auf einer Kontrollfahrt gewesen?

 

Wer trägt die Verantwortung für die toten Schäfe? Hund, Wolf oder doch der Mensch?

Heisst dies, dass die Schafe vom frühen Morgen bis um die Mittagszeit alleine gelassen worden waren? In der Rissliste sind 19 Opfer angegeben. Darunter drei Alttiere tot, sechs Lämmer tot, neun Lämmer verletzt und später notgetötet sowie ein Lamm verletzt.

19in Bearbeitungin Bearbeitung3 Alttiere tot,  Lämmer tot, 9 Lämmer verletzt und später notgetötet, 1 Lamm verletzt

Einen Tag später fanden wir die toten Tiere noch immer in einem Hänger vor. In Schusslinie ein Hochsitz. Hier könnten kritische Menschen glatt auf den Gedanken kommen, man wollte auf die Rückkehr des Übeltäters warten und Selbstjustiz begehen.

Mobiles Netz ohne Spannung

Wir sahen uns die Situation am 20. März nach 18 Uhr genauer an. Der Wildzaun um die Weide herum bietet überhaupt keine Sicherheit. Siehe auch folgende Fotos. Zwar waren Hirtenhunde bei den Schafen, doch die mobilen Zäune wiesen einen Tag nach dem Großriss keine Spannung auf. Wie kann das sein?

Der Schäfer hat wohl auch bereits in mehreren Medien den Abschuss von den Wölfen im Gebiet gefordert. Doch ist er in Wirklichkeit einfach mit seinen Tieren überfordert? Anscheinend bekam der alte Mann kaum bis gar keine Unterstützung durch die patrouilierende Bürgerwehr, oder andere Selbsthilfegruppen. Schon nach dem ersten Riss wirkte es auf unsere Beobachter so,  als ob der Schäfer auf seiner Weide mit seinen Tieren überfordert wäre, er stürzte sogar mehrmals hin. Wanderschäfern und Wanderschäferinnen wird große körperliche Fitness abverlangt. Muss ein Halter nicht die Reißleine ziehen, wenn er merkt, dass diese Fitness nicht mehr gegeben ist? In der Not helfe man wo man könne, heisst es weiter im Artikel im Jägermagazin. So hätten schließlich Jäger die leidenden verletzten Schafe erlöst. Doch hätte es überhaupt so weit kommen dürfen? Hätte der Schäfer nicht bei seinen Tieren sein müssen? In einem Filmbeitrag behauptet der Schäfer, er sei nur eine „halbe Stunde“ weg gewesen. Diese Behauptung stimmt aber nicht mit der Timeline Spaziergänger, Polizei, Jägermagazin überein.

Zufällig fällt dieses Rissgeschehen wieder einmal in eine Zeit, in der die Agrar und Jagdlobby nicht nur in NRW, sondern auch bundesweit den nächsten Angriff auf den Schutzstatus der Wölfe ausübt. Seit einigen Tagen überschlagen sich auch Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker in RW erneut mit markigen Forderungen nach mehr Wolfsmanagement und Abschüssen. Und die Rissgeschehen scheinen genau zur richtigen Zeit wieder einmal die Gemüter zu erhitzen. Sicherlich kann es sich hier auch um pure Zufälle handeln, aber in der Vergangenheit können immer wieder Risse provoziert worden sein, um an Abschussgenehmigungen zu gelangen. Und solange solche Wolfsabschüsse als Lösungen angeboten werden, wird sich an einer solchen Praxis wahrscheinlich auch wenig ändern.

Denn selbst wenn es ein oder mehrere Wölfe waren, haben es ihnen die Menschen wieder einmal mehr als leicht gemacht. Falls es doch ein oder mehrere Hunde gewesen sein sollten, gibt es wahrscheinlich nur klitzekleine Meldungen  zur Richtigstellung in den Medien darüber.

 

Die überlebenden Tiere waren am 20.03. nach 18 Uhr zirka 200 Meter vom Rissort entfernt hinter einem mobilen Netz untergebracht. Bewacht wurden sie von mindestens einem Hütehund. Allerdings wies das mobile Netz keinen Strom auf.

 

Eingangstüre zur Weide. Diese stellt weder für Hunde noch für Wölfe ein Problem dar.

 

Rechts am Hochsitz vorbei befindet sich der Außenzaun, ein Wildnetzzaun.

 

 

Wildzaun umrundet die Weide.

 

 

Auf Wildzaun ist kein Strom, wir messen aber dennoch immer, weil sich bei einer Messung einmal Spannung auf einem Stacheldrahtzaun befand.

 

 

Keine Spannung am Wildzaun.

 

 

Am 20. März nach 18 Uhr lagen die toten Schafe und Lämmer noch immer auf einem Wagen. Der Weg dahinter führt zur Weide.

 

 

Die verbliebenen Schafe fanden wir am 20. März nach 18 Uhr zirka zweihundert Meter weit vom Rissort entfernt, mit einem mobilen Netz eingezäunt vor.

 

Hinter dem mobilen Netz befanden sich auch Hirtenhunde bei den Schafen.

 

Das mobile Netz wies am 20.03. zirka 18 Uhr keine Spannung auf.

 

Keine Spannung auf dem mobilen Netz.

 

Wolfsabweisendes Netz in einer Hähe von 1,10 Metern, was aber wenig hilft, wenn keine Spannung darauf ist.

 

 

Am 16. Februar gab es bereits einen Riss beim gleichen Schäfer

16.02.2023RecklinghausenDorstenSchaf19in Bearbeitungin Bearbeitung2 Alttiere tot, 6 Lämmer tot, 2 Lämmer verletzt und später euthanasiert, 1 Lamm verletzt, 2 Lämmer + 2 Alttiere nachträglich tot gefunden, 2 Verlammungen (jeweils Zwillinge)

 

 

Einen Tag nach dem Riss fanden wir die Schafe abends in einem mobilen Netz mit Hirtenhunden vor.

 

Innerhalb einer Weide waren die Schafe mit einem mobilen Netz eingezäunt und es waren Hirtenhunde dabei.

 

Viele Wanderschäfer wandern tagsüber mit ihren Schafen umher und sie stellen sie in der Nacht in ein mobiles Netz. Hier waren Hirtenhunde dabei. Der Schäfer fuhr aber wahrscheinlich, wie es die meisten Schäfer heutzutage machen, nach Hause.

 

Tatsachenbehauptungen in der Überschrift

 

Bei Erscheinen des Artikels war – und es ist bis heute nicht bestätigt – auch nicht beim ersten Riss – ob überhapt ein oder mehrere Wölfe Verursacher waren. Hier der komplette Artikel: https://schermbeck-online.de/wolf-riss-in-lembeck-mindestens-12-schafe-spaziergaenger-meldet-fund-der-polizei/?fbclid=IwAR2fLvbcVWH6l0GBh7rXEXEuQJCs3O00BYxzpB-uwFKZwkS-tTYpm1N_Bvs

Eine Überschrift, in der wider besseres Wissen ein Ereignis als feststehend beschrieben wird, nennt sich Tatsachenbehauptung. Würden wir von Wolfsschutz-Deutschland solch eine Behauptung aufstellen, gäbe es Post von einem Anwalt. Bei den Lokal- und Massenmedien sieht die Realität leider ganz anders aus. In der Überschrift steht zwar, dass es ein Wolf gewesen ist, in Wirklichkeit steht dies bis heute noch nicht fest. Siehe auch Rissliste in den verlinkten Quellen. Ein solcher Artikel kann zwar dem Deutschen Presserat gemeldet werden, doch die Erfolgsaussichten, dass hier tatsächlich mal eine Rüge erteilt wird, sind gering. Sind es doch die gleichen Verlage, die praktisch über sich selber richten sollen.  So liegt die Verantwortung bei den Lesern, solche Artikel ganz genau durchzulesen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Im Fließtext ist dann aufgeführt, dass es nur „vermutlich“ ein Wolf war.

Blick aus einer unserer Forschungskameras

 

Ein Tier aus Glorias Familie ist hier auf dem Foto zu sehen. Vaterwolf Ingolf gilt als verschollen. Ob es in diesem Jahr Welpen geben wird, ist ungewiss.

 

Wölfe markieren ihr Revier mit Kot oft mitten auf den Wegen. Die Losung dient als Nachricht an andere Wölfe, dass das Revier besetzt ist. Wölfe verteidigen ihr Revier gegen anderen Wölfe. Hat man einmal „Seinen“ Wölfen beigebracht, dass Weidetiere nicht ohne Schmerzen erreichbar sind, werden sie sich leichterer Beute zuwenden und sogar die Weidetiere so vor anderen Wölfen schützen. Leider nimmt man dies im Raum Schermbeck wohl noch immer nicht zur Kenntnis.

Atemberaubend schöne Eindrücke aus Glorias Zuhause

 

Und nun last but not least ein paar atemberaubend schöne Bilder, die unsere Aktiven bei Einsätzen aufgenommen haben.

 

 

 

 

 

 

Gefällt Ihnen unsere Arbeit? Wir freuen uns über Unterstützung!

Das Erstellen unserer Reportagen, die Richtigstellungen, die Bewertungen werden mit großem zeitlichen Aufwand und persönlichem Einsatz erstellt. Unser Verein wird nicht staatlich unterstützt, deshalb sind wir auf Spenden angewiesen. Ein monatlicher Beitrag  von fünf Euro in einem Abo hilft uns sehr, unsere Reportagen auch weiterhin werbefrei anbieten zu können und auch unsere aktive Arbeit in den Wolfsgebieten kann weiterhin stattfinden.

Wolfsschutz-Deutschland e.V.

Berliner Sparkasse

IBAN DE79 1005 0000 0190 7118 84

BIC BELADEBEXXX

Auch über Paypal sind Spenden möglich. Hier der Link: https://wolfsschutz-deutschland.de/spenden-2/

 

 

 

Quellen: Rissliste NRW : https://wolf.nrw/wolf/de/management/nutztierrisse

Artikel im Jägermagazin: https://www.jaegermagazin.de/jagd-aktuell/woelfe-in-deutschland/wolfsattacke-bei-lembeck-dorsten-350-schafe-angegriffen/

https://www.nrz.de/staedte/dinslaken-huenxe-voerde/nach-wolfsriss-in-voerde-schafzuechter-fordert-taten-id237944471.html?fbclid=IwAR3IyUSShRxU05ff2cerh1SXYm5kHS0tm1yOtLQk5a4BR7-yZ9RYaKG-FFg