Sachsen: „Wolfsvergrämung“ schießt weit über das Ziel hinaus

Gestern hat der Freundeskreis freilebender Wölfe e.V. eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er die derzeitigen Vergrämungsmaßnahmen am erst 7 Monate alten Welpen aus dem Rudel Großhennersdorf (Landkreis Görlitz) ausdrücklich lobt und die Mitarbeiter des LUPUS-Instituts als „aufopferungsvoll“ und „rettend“ feiert. Wir teilen das Ziel, diesen jungen Wolf am Leben zu erhalten – aber wir teilen weder die Bewertung der Methoden noch die Schlussfolgerung, dass genau diese Aktion der richtige Weg sei. Im Gegenteil: Wir halten sie für unverhältnismäßig, tierschutzrechtlich höchst fragwürdig und langfristig kontraproduktiv.

Was genau ist passiert?

Der Welpe wurde nachts in eine hölzerne Transportkiste gesperrt, die ihm kaum Sicht nach außen gewährte. Rund 20 Personen umstellten die Kiste, erzeugten massiven Lärm (Schreie, Hupen, Schlaginstrumente) und stachen wiederholt mit spitzen Gegenständen (vermutlich Stöcke oder Metallstangen) durch die Gitterstäbe in die Kiste hinein. Nach Öffnen der Tür wurde das flüchtende Tier von der Gruppe verfolgt.
Das alles geschah bei einem Welpen, der bis heute keinen einzigen Angriff auf Menschen begangen hat, sondern lediglich neugierig und spielerisch auftrat – Verhalten, das in einem auf Facebook kursierenden Video eines Jägers dokumentiert ist und das jedem gleichaltrigen Hundewelpen zur Ehre gereichen würde. Augenscheinlich hat der aufnehmende Jäger den Welpen selbst nicht verscheucht. Warum eigentlich nicht? Haben die Jäger ihn vielleicht sogar selbst angefüttert, um genau solche Bilder zu konstruieren? Unklar. Fakt ist aber, dass die Jäger Wölfe künftig bejagen wollen. Ist ihnen jedes Mittel dazu Recht, um einen Abschussfall zu konstruieren? 
Beispielfoto eines zirka 10 Monate alten Welpen, der genauso zum Spielen auffordert, wie der Welpe von Großhennersdorf.
Das, was da im Film der Vergrämung schockiert, ist keine „Vergrämung“ im rechtlichen Sinne – das ist Paniktraining mit unklarer Wirkung.
Die Sächsische Wolfsmanagementverordnung (§ 5 SächsWolfMVO) und das bundesweite Wolfsmanagement erlauben Vergrämung ausdrücklich nur mit „geeigneten Mitteln“, die „erforderlich und verhältnismäßig“ sein müssen. Sensorische Überflutung in einer dunklen Kiste, stochern und traktieren, evtl. sogar verletzen mit spitzen Gegenständen und eine anschließende Hetzjagd im Dunkeln erfüllen diese Kriterien nach unserer Auffassung nicht. Sie erzeugen keine gezielte negative Konditionierung („Mensch = unangenehm“), sondern blanke Panik und Todesangst – mit unkalkulierbaren Langzeitfolgen für ein Jungtier, dessen Gehirn sich noch in der Entwicklung befindet.
Hier ist das Video zu sehen: Auf üblichen Wolfshasserseiten in Facebook und anderen sozialen Netzwerken wurde behauptet, dass hier der nächste „gezüchtete“ Wolf praktisch per Kofferraum ausgesetzt werden würde. Dies ist natürlich kompletter Schwachsinn.
Ein Welpe ist kein „problematischer Wolf“ – er ist ein Kind ohne schlechte Erfahrungen. Dieser Rüde ist nicht einmal ein Jahr  alt. Er hat vermutlich seine Mutter (GW571f, seit Oktober 2024 nicht mehr geortet) und möglicherweise das gesamte Rudel verloren. Er hat keinerlei Erfahrung mit der „Lektion Mensch = Gefahr“ gesammelt – genau wie Pinguine in der Antarktis oder Robben, die noch nie einen Menschen gesehen haben. Neugier und Spielaufforderungen sind in diesem Alter biologisch normal. Sie mit Gewalt und Terror zu „therapieren“, statt ihm Zeit und sanfte Distanzierung zu gewähren, ist nicht nur tierschutzrechtlich höchst fragwürdig – es ist pädagogisch unsinnig.
Die Alternative war und ist möglich – und sie wäre human
Ein zweiter Lebendfang mit kontrollierter Aufpäppelung in einem Gehege wäre machbar gewesen. Dort hätte man Habituierungsursachen (z. B. illegale Anfütterung) klären und dem Tier in Ruhe beibringen können, dass Menschen langweilig und gefährlich, aber nicht interessant und auf keinen Fall Spielpartner sind. Stattdessen wurde eine „tierquälerische Lösung“ gewählt – vielleicht aus Angst vor öffentlichem Druck aus Richtung der Agrar- und Jagdlobby und aus Angst vor Landrat Dr. Stephan Meyer, der bereits erklärte, einen Abschuss „nicht auszuschließen“. Dieser Fall macht auch deutlich, wie hysterisch und der Natur entfremdet unsere Gesellschaft inzwischen geworden ist. Das Rotkäppchensyndrom sitzt tief. 
Das LUPUS-Institut ist eine GbR (Reinhardt & Kluth), die seit 2006 im Auftrag des Senckenberg Museums für Naturkunde Görlitz (SMNG) für das LfULG arbeitet. Als Auftragnehmer ist es weisungsgebunden und kann sich kaum erlauben, einer Landesregierung oder einem Landrat zu widersprechen, der „Entnahme“ als ultima ratio im Raum stehen lässt. Genau deshalb braucht es unabhängige Vereine, die laut „Nein“ sagen, wenn Methoden über das Ziel hinausschießen. Dieses „Nein“ sprechen wir heute aus.

Wir danken jedem Einzelnen, der sich für Wölfe einsetzt – auch den Kolleginnen und Kollegen vom Freundeskreis freilebender Wölfe. Aber Lob, wo wir tierschutzrechtlich und ethisch krasse Grenzüberschreitungen sehen, können und wollen wir nicht mittragen.

Dieser Welpe verdient Vernunft, keine Paniknacht in einer Holzkiste, wo er mit spitzen Gegenständen traktiert wurde. 
Er verdient Zeit, keine Hetzjagd.
Er verdient eine Chance auf Erfahrungen, keinen Vorwand für den nächsten Abschuss.

Wir haben eine Strafanzeige erwogen, aber nach Überlegung bewusst auf eine Strafanzeige gegen das LUPUS-Institut verzichtet, weil wir weder die engagierten Feldmitarbeiterinnen und -mitarbeiter kriminalisieren, noch weitere Energie in einen langwierigen Rechtsstreit stecken wollen, sondern unsere Kraft lieber in die öffentliche Aufklärung, öffentlichen Widerspruch und die Forderung nach wirklich tierschutzgerechten Alternativen investieren wollen.

Schutz statt Schuss – auch und gerade für Welpen!

Wir berichteten bereits hier: https://wolfsschutz-deutschland.de/2025/11/26/protest-gegen-drohende-entnahme-schutz-statt-schuss-fuer-wolfswelpe-aus-dem-rudel-grosshennersdorf/

Stelungnahme Freundeskreis frei lebender Wölfe e. V.: https://www.facebook.com/FreundeskreisWoelfe

Pressemitteilung zur Vergrämungsaktion: https://www.dbb-wolf.de/mehr/pressemitteilungen/details/sachsen-wolfswelpe-im-raum-grosshennersdorf-erfolgreich-besendert-und-wieder-freigelassen?fbclid=IwY2xjawOiF8BleHRuA2FlbQIxMABicmlkETBzNHhZN2oyZk5IdUM4TGZuc3J0YwZhcHBfaWQQMjIyMDM5MTc4ODIwMDg5MgABHnsPpG3puabBxnXBR_aaLVFO93O6vaoe_Y5gN-NZ5WWDKMzcgKqYFKf-44Mj_aem_wScU5KYw_5nNkCdVFSQ6HQ

 

Wer Wölfe wirklich schützen will, kann das nicht vom Sofa oder hinter dem Bildschirm erledigen. Man muss rausgehen – genau dorthin, wo die Wölfe leben. Nicht, um die Tiere zu stören, sondern um denen ins Handwerk zu pfuschen, die ihnen nach dem Leben trachten.
Vor Ort sein. Sehen, hören, spüren, was wirklich passiert. Kein Livestream, kein Satellitenbild und kein noch so emotionaler Post ersetzt das. Das geht nur mit Menschen, die fit sind, gerne wandern, die Natur lieben und bereit sind, Zeit und Energie zu investieren, um an unserem internen Wolfsmonitoring teilzunehmen.
Eigentlich könnten wir es längst schaffen: Für jedes Wolfsrudel in Deutschland echte Beschützer vor Ort zu haben – Menschen, die präsent sind, dokumentieren, eingreifen, wenn nötig, und einfach zeigen: Hier passen wir auf. Also: Runter vom Sofa, weg von der Tastatur, raus ins Revier.
Die Wölfe brauchen Euch im echten Leben.
Macht mit. Wir garantieren unseren Aktiven Anonymität und statten sie mit allem aus, was gebraucht wird: https://wolfsschutz-deutschland.de/mitglied-werden

Wir freuen uns über finanzielle Unterstützung:

Konzerne und Lobbyisten bestimmen immer mehr –  und nicht im Interesse der Bürger und nicht zum Wohle der Natur – mit. Deshalb ist es essentiell, dass es Vereine wie Wolfsschutz-Deutschland e. V. gibt, die völlig unabhängig sind. Kein Vorstandsmitglied sitzt in einer Partei. Parteien mischen auch nicht bei uns mit und wir nehmen keine Lobbygelder an. Wer uns unterstützt, kann sich also sicher sein, dass wir stets im Sinne unserer Wölfe handeln. Wir sind nicht bestechlich. 

Doch wir Helfer brauchen auch Hilfe. Bitte unterstützen Sie uns mit einer Spende. Auch mit einem Dauerauftrag von 5 Euro im Monat können wir viel Gutes tun und weiter für unsere Wölfe kämpfen. https://wolfsschutz-deutschland.de/spenden-2/

3 Gedanken zu „Sachsen: „Wolfsvergrämung“ schießt weit über das Ziel hinaus

  1. Ich bin entsetzt und konnte mir das Video nicht zu Ende ansehen. Wie dumm und total unüberlegt sind solche Maßnahmen!
    Sind das Menschen, die gerne Foltern?
    Es gibt auch Menschen, die Hunde und Katzen quälen. Die machen sich strafbar!
    Warum machen sich Menschen nicht strafbar, die Wolfskinder quälen?
    Wir Menschen sollten uns schämen, so ein Verhalten zuzulassen.

  2. Was ich da sehe, ist tiefstes Mittelalter und einfach eine Schande!!! Bin auch enttäuscht vom „Freundeskreis….“ dem ich auch angehöre!!!
    Das arme, junge Tier wird allenfalls traumatisiert und wer sind die Leute die sowas tun?
    Die Menschheit wird immer schlimmer und es richtet sich genau gegen die FALSCHEN!
    Entsetzen macht sich breit😱

  3. das video zeigt: wegwerfmenschen in einer wegwerfwelt mit wegwerftieren als staffage (hier jungwolf), grauenhaft, ein ausschnitt aus dantes hölle

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